Der Internet-TV Anbieter Zattoo war lange Jahre ein Vorbild für Anbieter proprietärerer Dienste. Neben den üblichen Clients für Windows und Mac wurde auch ein ebenbürtiger Client für Linux zum Download angeboten und gut gepflegt. Doch vor wenigen Tagen verschwand der Client von der Webseite, stattdessen wird der geneigte Anwender nur noch auf das neue Zattoo Web TV vertröstet.
We’re sorry, but the linux version of the Zattoo player is no longer available for download. As an alternative, we offer Zattoo Web TV.
Diese Entwicklung wurde in der Linux-Community nicht gerade positiv aufgenommen. Ich habe darauf hin eine kurze Mail an den Pressekontakt geschrieben und wurde heute von einem Anruf aus der Schweiz überrascht. Am anderen Ende der Leitung war Herr Beat Knecht, CEO von Zattoo. Wir haben mehr als eineinhalb Stunden über Zattoo, Web-TV, Linux sowie natürlich die Einstellung von Zattoo zu Linux gesprochen. Das Gespräch war wirklich sehr produktiv und interessant, den Inhalt möchte ich für Euch kurz zusammenfassen.
Das Gespräch
Zattoo stellt den Linux-Client nicht einfach ein, weil man ihn einstellen will und keine Lust auf Linux hat. Auch wenn der Anteil der Linux-User unter den Zattoo Anwendern mit zwei bis drei Prozent relativ klein ist, hat man uns Linuxer bislang gerne mit einer eigenen Anwendung unterstützt.
Der alte Linux-Client von Zattoo
Das ist auch heute noch so, ABER man möchte Zattoo näher an den Browser binden. Die Applikation soll nicht mehr der bevorzugte Anwendungsfall sein, sondern man möchte Zattoo eher im Browser laufen lassen. Man erhofft sich damit, dass mehr User öfters Zattoo sehen, da der Browser in Zeiten günstiger DSL-Anschlüsse eine der Anwendungen ist, die permanent laufen.
Daher wird der Web-Client mit Hochdruck entwickelt und ausgebaut. Auf der Roadmap stehen viele Funktionen, die bislang noch nicht implementiert sind. So sollen “Web-2.0″ Features wie Chats zwischen Betrachtern einer Sendung möglich sein, man will einen umfangreichen EPG (Programmführer) einbauen und es soll möglich sein Sendungen aus Zattoo heraus aufzunehmen, um sie später abspielen zu können (PVR-Funktionalität).
Das Einstellen des Linux-Clients begründet sich nun daher, dass das Streamingverfahren geändert wird. Bislang wurde der Stream mittels P2P zwischen den Zattoo-Clients verteilt. Mit dem Web-Client stellt man nun komplett auf Flash-Streams um, die eine bessere Qualität bieten sollen. Damit wird auch der Code auf eine einheitliche Basis gestellt, da man nur ein Streaming-Protokoll warten muss. Die Clients für Windows und Mac wurden diesbezüglich schon aktualisiert, der Client für Linux hat nun bei dieser Umstellung aufgrund seines Marktanteils nicht die höchste Priorität.
Das neue Zattoo Web TV
Aktuell geistern noch .deb Dateien des Linux-Clients auf Freehostern rum, so dass man den Linux-Client noch runterladen und installieren kann. Der Client funktioniert auch NOCH. Über die nächsten zehn bis 14 Tage werden die Streams der einzelnen Sender jedoch auf Flash umgestellt, so dass der Zattoo Linux-Client in wenigen Wochen nicht mehr funktionieren wird.
Mittelfristig, wenn der Web-Client steht und halbwegs Feature-complete ist, möchte man sich auch wieder Linux zuwenden. Bis dahin, so habe ich angeregt, könnte man Zattoo eventuell via Prism wieder als “Anwendung” realisieren. Des weiteren wird man die Downloadseite von Zattoo für Linux um weitere Informationen ergänzen warum der Linux-Client aktuell eingestellt wurde.
Zattoo bittet nun die Linux-Community dem Zattoo Web TV eine Chance zu geben und den Web-Client auszutesten. Man ist stark an Feedback interessiert, dazu gibt es im Web-Client in der rechten oberen Ecke einen Feedback-Button, der zu einer Umfrage führt, über die man seine Meinung und Ideen abgeben kann. Herr Beat Knecht ist sehr an Euren Erfahrungen interessiert und produktives Feedback wird in Zattoo über kurz oder lang einfließen. Man weiß auch dass Flash unter Linux nicht das gelbe vom Ei ist, vielleicht hat ja ein Unternehmen wie Zattoo etwas mehr Einfluss auf Adobe, wie eine Handvoll einzelner Linuxer.
Meine Meinung
Es ist schade dass Zattoo den Linux-Client erstmal einstellt aufschiebt, doch es ist auch verständlich. Der Werbemarkt ist aktuell sehr angespannt und auch die Content-Anbieter sind nicht gerade einfach zu handeln. Zu umkämpft und kontrolliert ist der Markt. Ich habe daher volles Verständnis, dass man sich auf den größten Markt konzentriert.
Ob die Entscheidung sich auf den Browser zu konzentrieren richtig ist, wird sich zeigen. Ich persönlich finde dass Internet-TV in eine Anwendung gehört und nicht in den Browser. YouTube und Co. stehen in meinen Augen bislang nicht in Konkurrenz zu Internet-TV, sondern haben einen anderen Use-Case. Auf YouTube schaue ich ein paar Videos an und schließe dann den Browser-Tab. TV jedoch läuft länger und eventuell nebenbei. Ich möchte schnellen Zugriff auf die TV-Applikation, ich will sie eventuell mit den Mediatasten der Tastatur bedienen, ich will vielleicht nur kurz TV stumm stellen, ich will die TV-Anwendung ins Panel minimieren usw. Das sind Dinge, die vermutlich nur mit einer eigenen Anwendung funktionieren und nicht mit einer Webseite. Der stete Erfolg und die enorme Beliebtheit von Miro gibt mir in meinen Augen recht.
Miro
Mein Idealbild von “Fernsehen 2.0″ sieht so aus: Ich bin es Leid interessante Sendungen zu der Zeit sehen zu müssen, wenn sie gerade ausgestrahlt werden. Ich möchte nicht Samstags oder Feiertags um 20:15 vor dem Fernseher sitzen. Ich will raus, ich will feiern, ich will mich mit Freunden treffen. Aber Fernsehen? Nein, das will ich bei schlechtem Wetter, wenn ich nichts anderes zu tun habe, doch dann kommt natürlich nur Schrott im Fernsehen. Und ich möchte mich NICHT mit Videorekordern (egal ob analog oder digital) beschäftigen müssen. Ich will bewusst Fernsehen und ich will mir nicht vorschreiben lassen wann ich was zu sehen habe. Das ewig dudelnde Fernsehen ist in meinen Augen – zumindest für gewissen Teil unserer Gesellschaft – ein Auslaufmodell. Natürlich könnte man DVDs kaufen, doch persönlich “bezahle” lieber indem ich Werbung ertrage, anstelle dem Kaufpreis einer DVD berappe.
Fernsehen “On Demand” gibt es schon, doch es ist bis dato noch ein “Luxus-Produkt”, bedarf zusätzlicher Hardware die ich kaufen, warten und bedienen muss oder ist wie beispielsweise TiVo noch nicht in Deutschland verfügbar. Mein Traum wäre eine Anwendung wie Miro für sämtliche öffentlich-rechtliche und private Sender, doch ich glaube dass es noch Jahre dauern wird, bis so etwas möglich wird. Nicht dass es noch große technische Hürden zu nehmen gilt, viele Sender veröffentlichen ihre selbst produzierten Sendungen ja schon im Netz, doch erst wenn man Angebot bündelt und durchsuchbar macht, kommt das “Internet-Fernsehen” voran. Vielleicht macht Zattoo ja den ersten Schritt
Meine Kritik am Zattoo Web TV
Hier ein paar Punkte die mir an Zattoo Web TV aufgefallen sind…
Deutlich höhere Systemanforderungen
Adobe Flash, und damit Zattoo Web TV, schluckt deutlich mehr Leistung als der alte herkömmliche Client, top zeigt 100 bis 110% CPU-Last beim Web-Client (komische Werte…), jedoch nur 60% bei herkömmlichen Zattoo-Client an. Viele Rechner werden damit überfordert sein und Zattoo somit Kunden verlieren.
Schlechtere Usability
Die Usability von Zattoo leidt massiv. Der Zattoo Web TV belegt viel Platz auf dem Bildschirm, so lässt sich die Seitenleiste mit den zur Verfügung stehenden Sendern nicht mehr ausblenden. Teile davon dienen zwar der Werbung und somit der Refinanzierung von Zattoo, doch einen Film möchte ich im Vollbild sehen.
Apropos Vollbild, ein richtiges Vollbild ist nicht mehr möglich. Zwar kann man Firefox mit F11 maximimieren, so dass keine Menüleisten mehr sichtbar sind, doch was wenn ich Zattoo im Fenster sehen will, aber sonst keine Bedienelemente sehen möchte? Das geht nicht mehr. Ebenso kann ich nicht mehr durch einen Doppelklick auf das Bild in das Vollbild wechseln.
Ebenso ist es deutlich aufwändiger das Fernsehbild “Immer im Vordergrund” zu haben. Fenstermanager unter Linux können das Übernehmen. Aber Windows-Anwender sind auf Zusatztools angewiesen.
Das Zappen dauert deutlich länger. Oft dauert es recht lange bis der Stream anfängt, auf dem Bildschirm tut sich dann erstmal nichts, bis dann das Bild aus dem Nichts erscheint. Ich dachte schon dass gar nichts mehr kommt und sich die “Anwendung” aufgehängt hat. Des weiteren nervt die Werbung beim Senderwechsel erheblich. Werbeeinblendungen VOR dem Start des Streams wären OK wenn ich weiß was kommt und wenn ich weiß, dass ich danach beim Programm bleibe. Doch dass bei praktisch jedem Senderwechsel ein Spot eingeblendet wird verdirbt den Spaß am Zappen völlig.
Dazu kommen wohl Bugs, die den Beta-Betrieb tangieren, Streams brechen ab oder man muss sich einloggen, obwohl man eingeloggt ist etc…
Fazit
Ohne den von Herrn Beat Knecht angekündigten Mehrwert (EPG, PVR) ist Zattoo Web TV in meinen Augen nett, wenn man TV schauen will und keine Software auf dem Rechner installieren kann/möchte. Doch als Alternative zu einem TV-Programm mit herkömmlicher TV-Karte oder einem konventionellen Fernseher kann sich Zattoo Web TV nicht sehen. Die Usability ist zu gering, die Last auf das System zu hoch. Der herkömmliche Client war OK, da er ähnliche Funktionen wie ein TV-Programm bot, doch der Web-Client bietet bis dato – bitte immer im Hinterkopf behalten dass das Angebot noch NICHT vollständig ist und sich Zattoo Web TV in der Beta-Phase befindet – einfach zu wenig. Ich werde abwarten bis Zattoo die versprochenen Features einbaut und bis dahin weiter nach einer unter Linux lauffähigen DVB-Lösung suchen..’